Mobbing im Schulwesen – zwischen Aggressor und rechtlicher Ohnmacht
In der Veranstaltungsreihe zum 50-jährigen Bestehen der Eduard-Stieler-Schule konnte der Würzburger Jurist und Experte für Mobbing im öffentlichen Dienst, Dr. Sebastian Hartmann, zu einem Vortrag unter dem Thema „Mobbing im Schulwesen – zwischen Aggressor und rechtlicher Ohnmacht“ gewonnen werden.
Eingangs definiert Hartmann Mobbing nach Leymann als „negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die sehr oft und über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen und damit die Beziehung zwischen Täter und Opfer kennzeichnen.“ Dr. Hartmann hat es sich in seiner Karriere zum Ziel gesetzt, über Mobbing und vor allem über das im öffentlichen Dienst aufzuklären und seinen Mandanten bundesweit auch Beistand zu leisten. In einer Studie, die Hartmann in der Zeit von Februar bis Dezember 2015 mit 2.300 Teilnehmenden durchgeführt hat, belegt er die Besonderheiten des Mobbings im öffentlichen Dienst. Die engen Grenzen des öffentlichen Dienstes und die Verbeamtung auf Lebenszeit schützten teilweise nicht nur den Aggressor, sondern engten auch das Opfer ein, dessen Laufbahn nur schwer an Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen vorbeiführe, wodurch auch der zeitliche Rahmen des Mobbings in nahezu 30 Prozent der Fälle über einen Zeitraum von über drei Jahren andauere.
Konsequenzen für Opfer im öffentlichen Dienst
Die für das Schulwesen relevante Mobbingquote beziffert sich laut der Studie auf annähernd 36 Prozent. Somit wird die Bedeutsamkeit der Thematik hervorgehoben. Besonders vernichtend sei das Urteil hinsichtlich der dienst-/rechtlichen Konsequenzen, die über 80 Prozent nicht fürchteten, bevor sie zum Täter wurden. Hierbei reichten die Handlungen, laut Hartmann, von der Einschränkung der Kommunikation, über Angriffe auf die Reputation der Mobbingopfer bis hin zur Manipulation und Begrenzung deren Tätigkeitsbereiche. Ein Sonderfall hierbei sei das „Sterbezimmer“: Personen mit Führungsaufgaben werden von diesen entbunden, ihnen werden andere, minderwertige Arbeitsbereiche, die weder dem Anforderungsbereich noch dem Werteanspruch des Gemobbten entsprächen, zugewiesen und somit der so aus dem aktiven Verkehr Gezogene der Langeweile und der sinkenden Selbstachtung preisgegeben. Diese Form des „Strainings“ folge einer sukzessiven Ausgrenzung durch Nichtinformation und Nichtbeteiligung im Arbeitsalltag.
Alarmierende Opferzahlen
Auch auf der Schülerseite, so Hartmann, seien die Zahlen besorgniserregend. Die Studie Cyberlife aus dem Jahr 2024 alleine zum Cybermobbing bei Lernenden zeige, dass es über zwei Millionen Opfer gebe, von denen als Folge über ein Viertel Suizidgedanken hege. Somit müsse die Zahl der Opfer in der Schülerschaft durch in der Realität begangene Attacken noch größer sein. Schockierend sei, dass es nur selten strafrechtliche Ahndungen gebe und der rechtliche Rahmen hierzu vor allem auf grundlegende und umfangreiche Dokumentation der Angriffe und deren Inhalte setze. Hartmann rät in diesem Zusammenhang jedem, der von Mobbing erfahre, Betroffene kenne und in diesem Kontext arbeite, dass von Beginn der Mobbingübergriffe an eine stichhaltige Dokumentation der Ereignisse und deren Schäden im Rahmen eines Mobbingtagebuchs niedergeschrieben werden sollten. In juristischen Auseinandersetzungen biete dies den besten Rahmen, um das erlittene Unrecht zu beweisen. Gerade vor Gericht fehlten präzise Gesetzestexte, weil man sich immer nur auf andere verletzte Rechte, wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde oder Angriffe auf die Ehre oder Gesundheit beziehen könne. Andere Länder wie Österreich oder Frankreich hätten bereits arbeitsrechtlich relevante Mobbingparagraphen erlassen. „Das systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte“ sei die Arbeitshypothese des Bundesarbeitsgerichts in diesem Kontext - eine rechtliche Grundlage fehle.
Ohnmacht im Umgang mit Mobbing im schulischen Alltag
Für das Schulwesen hatten sich einige der Zuschauenden eine konkretere Vorgehensweise im Umgang mit Mobbing im schulischen Alltag gewünscht. Dr. Hartmann reagierte auf diese Rückfrage, denn man befinde sich hier direkt in der in der Überschrift angesprochenen „rechtlichen Ohnmacht“. Kinder und Jugendliche seien in diesem Kontext häufig nicht strafmündig, ein Einschreiten müsse pädagogisch unter Einbezug aller Beteiligten erfolgen. Man könne sich demnach lediglich auf das Verständnis und die Notwendigkeit von Maßnahmen auf Seiten der Erziehenden berufen und gerade in der Schule eine kritische Atmosphäre schaffen, in der man Probleme erkenne, diese benenne und dann verbanne. Hierzu zählten laut Hartmann vor allem präventive Maßnahmen wie Workshops und Schulungen für Lehrkräfte, einheitliche Interventionsstrategien wie Meldebögen und Handlungsleitfäden und auch klare und transparente Kommunikationsstrategien zu direkten Ansprech- und Kontaktpersonen. Für gemobbte Lehrkräfte müsse der Dienstherr seiner Fürsorgepflicht nachkommen und alles Mögliche tun, um Mobbing zu unterbinden. Der Rückzug auf einen neutralen Standpunkt ab Kenntnis der Vorfälle sei hierbei als Bösgläubigkeit ebenfalls juristisch ahndbar.
Oftmals fehlende Konsequenzen für Mobber
Die Folgen des Mobbings führten leider immer noch häufig zur Exklusion oder Verbannung des Opfers, dessen Schutz und Sicherheit nur so zeitnah sichergestellt werden könne, weil bis zu einer Ahnung oder einer Lösung der Konfliktursachen der/die Mobber keine direkten Konsequenzen erwarten. Neben der ersten Schutzreaktion einer Krankmeldung, der inneren Kündigung oder dann eben der formalen Kündigung bedeute dies für Lehrkräfte häufig eine Versetzung, für Lernende einen freiwilligen Schulwechsel – beides sei im Sinne des Opferschutzes legitim, aber rechtlich ein Ohnmachtsbeleg. Um Mobbing nachhaltig zu verhindern, sei es wichtig, eine mobbingfeindliche Kultur zu schaffen, die auf Aufklärung, Prävention und konsequentes und stringentes Handeln setzt. Mobber dürften nicht das Gefühl haben, dass sie für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnten, sondern ihnen muss die Bühne entzogen werden, um nicht nur persönlichen Schaden zu verhindern, sondern auch die Gesellschaft und Wirtschaft durch Ausfall von beruflicher Tätigkeit und Zeitverschwendung für Mobbinghandlungen vor wirtschaftlichem Schaden (je nach Studie 15 bis 50 Milliarden Euro im Jahr) zu bewahren.
Dank und Ausblick
Für die Schulgemeinde bedankt sich die Schulleiterin Isabel Herbert bei Hartmann für seinen Vortrag und wünscht sich, dass auch andere Schulen diese Informationen aufnehmen und den Handlungskatalog pädagogischer und Ordnungsmaßnahmen, den das Schulrecht in Hessen biete, im Falle vorliegenden Mobbings gerade bei Lernenden anwende.
Mit Blick und Dank auf den verantwortlichen Organisator des Abends, Rene-Andre Kohl, verweist Herbert auf die kommende Veranstaltung am 27. Mai 2025 mit der Trägerin des Bundesverdienstkreuzes, Frau Edda Schönherz, die unter dem Motto „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf!“ über ihr Leben in zwei Deutschlands berichten wird.
Text und Bilder: Rene-Andre Kohl
01 Bildimpression während des Vortrags von Dr. Sebastian Hartmann
02 Schulleiterin Isabel Herbert, Dr. Sebastian Hartmann, Rene-Andre Kohl
03 Bildimpression während des Vortrags zum Thema Mobbing
